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30 Jahre ReAL

04. Juli 2025

Unser zweitägiger Fachkongress: 30 Jahre ReAL Verbund

Gemeinsam wachsen – gemeinsam wirken
Bad Tölz, Juli 2025 – Unter dem Motto „30 Jahre ReAL – Perspektiven schaffen, Teilhabe ermöglichen“ feierte der ReAL Verbund Bad Tölz im Kurhaus sein 30-jähriges Bestehen.


Nach einem gelungenen feierlichen Auftakt-Event auf dem Brauneck am 1. Juli lud ReAL zu einem gemeinsamen Blick auf die Bilanz der vergangenen Jahre, auf die aktuelle Entwicklung von ReAL sowie auf zukünftige Ziele und Perspektiven ins Kurhaus ein. Die Veranstaltung bot emotionale Rückblicke, fachliche Impulse und bewegende Erfahrungsberichte – zwei Tage, die einmal mehr zeigten, wie bedeutend kontinuierliche, menschliche und fundierte psychiatrische Arbeit ist.


Begrüßung & Eröffnung – ein mutiger Anfang und eine Entwicklung mit Haltung
Eva-Marie Torhorst, Geschäftsführerin des ReAL Verbunds, eröffnete das Forum mit einem persönlichen Rückblick auf die Anfänge. Sie sprach von Unsicherheit und Idealismus, von mutigen Konzepten und der tiefen Überzeugung, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen mehr verdienen als reine Grundversorgung – nämlich echte Perspektiven auf Teilhabe und Entwicklung. Sie würdigte Kolleg:innen und Partner:innen, die den Weg mitgegangen sind und ReAL zu dem gemacht haben, was es heute ist:
„Was wir feiern, ist nicht nur ein Jubiläum – sondern 30 Jahre Vertrauen, Begegnung und Veränderung.“
Thomas Schwarzenberger, Bezirksratspräsident, unterstrich in seinem Grußwort die regionale Bedeutung von ReAL, einem Ort gemeindenaher Versorgung, der sowohl fachlich als auch menschlich neue Maßstäbe gesetzt habe:
„Bad Tölz ist mit ReAL ein Leuchtturm in der gemeindenahen Psychiatrie geworden.“

Fachimpuls I: RPK im Fokus – Rehabilitativ, persönlich, zukunftsorientiert
Das erste Podium widmete sich dem hochaktuellen Thema RPK (Rehabilitation psychisch kranker Menschen). Die Diskussion kreiste um strukturelle Herausforderungen, gesetzliche Entwicklungen und konkrete Chancen für Betroffene.
Dr. Raoul Borbé (DGPPN) forderte klare Qualitätsstandards und eine stärkere strukturelle Verankerung von RPK im Versorgungssystem, während Gerald Weiß (DRV Bayern Süd) die Perspektive der Rentenversicherung beleuchtete und betonte, wie wichtig es sei, individuelle Verläufe besser zu berücksichtigen.
Sibylle Hornung-Knobel und Antje Schräml gaben eindrucksvolle Einblicke in den Alltag von ReAL – etwa am Beispiel einer jungen Frau, die nach ihrer Zeit in der RPK als Peer-Beraterin tätig wurde. Ein starkes Zeichen für gelebte Teilhabe.
Nicole Hawig (Bundesagentur für Arbeit) mahnte an, dass berufliche Perspektiven von Anfang an mitgedacht werden müssen. Wolfgang Morlang (AOK Bayern) wünschte sich mutigere, sektorenübergreifende Zusammenarbeit.
Die Moderation übernahm Hanna-Dorith Bienheim, die mit Sachverstand und Nähe zur Praxis durch das Gespräch führte:
„RPK ist kein Nischenprodukt – es ist ein zentraler Baustein gelingender Teilhabe.“

Fachimpuls II: Inklusion in den Arbeitsmarkt – Realität oder Vision?
Das zweite Panel stellte die Frage nach echter Inklusion: Wie gelingt Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit psychischer Erkrankung – jenseits von Pilotprojekten und Programmen? Zwischen politischen Zielsetzungen und praktischen Hürden entstand eine vielschichtige Debatte über Wege, Chancen und Grenzen der beruflichen Teilhabe.
Jakob Gomm (ReAL Rosenheim) brachte es auf den Punkt:
„Wir müssen aufhören, Inklusion als Ausnahme zu behandeln. Sie muss Normalität sein.“
Nicole Hawig kritisierte Maßnahmenschleifen ohne Anschlussoptionen und forderte niedrigschwellige Übergänge. Davor Stubican (Paritätischer Wohlfahrtsverband) nannte Arbeitgeberverunsicherung als große Barriere – und plädierte für mehr Unterstützung in Betrieben.
MR Dr. Daniel Renné (Bayerisches Gesundheitsministerium) stellte aktuelle Modellprojekte vor und betonte:
 „Inklusion ist kein Programm, sondern eine Haltung.“
Dr. Arnold Torhorst, der mit einem Team aus Pionier-Mitarbeiter:innen vor 30 Jahren ReAL gründete, erinnerte eindrucksvoll daran, wie tief Ausgrenzung historisch verankert war – und wie viel Engagement es braucht, um echte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Alle Augen auf die Jugend – Perspektiven für junge Menschen
Einen besonderen Fokus legte das Forum im abschließenden Teil auf die Arbeit mit Jugendlichen. Anna Zorawski, Leiterin der ReAL-Jugendmaßnahmen (u. a. Therapeutische Jugendwohngruppe, TJWG), gab persönliche Einblicke in ihren Werdegang sowie ihre tägliche Arbeit bei ReAL: die Begleitung junger Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Sie schilderte, wie wichtig es sei, nicht nur auf Defizite zu schauen, sondern Potenziale zu sehen und Räume zu schaffen, in denen sich junge Menschen ausprobieren und entwickeln können – ohne Angst vor Stigmatisierung. So stellte sie fest: „Wir sind nicht nur Einrichtungen – wir sind Möglichkeitsräume.“
Anna Zorawski machte deutlich, dass stabile Beziehungen zu verlässlichen Bezugspersonen für Jugendliche oft der entscheidende Wendepunkt sind. Ebenso betonte sie, wie sehr es auf ein Netzwerk aus Schule, Familie und Fachkräften ankommt, um nachhaltige Entwicklungsschritte zu ermöglichen. Zudem hob sie hervor, wie wichtig es sei, jungen Menschen nicht nur in akuten Krisensituationen beizustehen, sondern ihnen frühzeitig Perspektiven und verlässliche Strukturen zu bieten. Ein besonderer Schwerpunkt liege hier auf der ambulanten Jugendhilfe, die individuell zugeschnittene Hilfen im häuslichen und schulischen Umfeld ermöglicht. Ziel sei es, die Selbstständigkeit, das Selbstvertrauen und die sozialen Kompetenzen der Jugendlichen nachhaltig zu stärken.
Susann Engert, Referentin Kinder, Jugend & Familie vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, unterstrich die Wichtigkeit, auch Eltern von Kindern und Jugendlichen in Krisensituationen den einfachen Zugang zu ambulanten Unterstützungssystemen zu gewährleisten – vor allem im Rahmen niedrigschwelliger Angebote. Hier gelte es, gemeinsam interdisziplinär weiter kreative Lösungen zu finden, um nicht erst den langen Weg der Abklärung von Kostenträgern gehen zu müssen, bevor Hilfe in Anspruch genommen werden kann.
Auch Lea De Gregorio, Autorin des Buchs „Unter Verrückten sagt man du“ und ehemals Betroffene, betonte, dass es für junge, oft verunsicherte Menschen in Bedarfssituationen dringend erforderlich sei, positive Erfahrungen im Bereich der Psychiatrie zu machen und im Krisenfall unkompliziert adäquate Hilfsangebote im ambulanten Bereich zu finden. Den Austausch mit anderen betroffenen Jugendlichen sieht Lea de Gregorio zudem als essenziellen Bestandteil gelungener Genesung.
Volker Hausdorf, Geschäftsbereichsleiter Kinder, Jugend & Familie der Diakonie München und Oberbayern, hob hervor, dass der Vernetzungsgedanke verschiedener Stellen unumgänglich sei für eine gelungene Begleitung psychisch erkrankter junger Menschen. Besonders lobte er den Mut, trotz bestehender Hürden bezüglich der besseren Platzierung der Jugendpsychiatrie, weiter in Zusammenarbeit nach konkreten Lösungswegen zu suchen. Abschließend machte er auf die besonders wichtige Eltern-Kind-Bindung aufmerksam, die für die Wahrnehmung der Bedürfnisse der eigenen Kinder unerlässlich sei.
Eva-Marie Torhorst betonte sowohl die Wichtigkeit, bestehende Hilfsangebote weiter auszubauen, als auch, diese im Bedarfsfall tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Klar im Vordergrund müsse das Ziel stehen, jungen Menschen in Krisen genug Unterstützung zu bieten, um sie im Anschluss auf ihrem Weg in ein eigenständiges Leben begleiten zu können. Hierfür gelte es, den passenden Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Entstigmatisierung stattfinden kann.
Zudem griff Eva-Marie Torhorst das sensible Thema des ärztlichen Machtmissbrauchs auf, dem junge Menschen in besonders verletzlichen Zuständen immer wieder begegnen. Man müsse sich auch in Fachkreisen klar fragen:  „Wo beginnt das Erlebnis von Machtmissbrauch?“
Ebenso Dr. med. Frank Beer, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Klinik Hochried), fordert klare Konsequenzen in solchen Fällen. In der Praxis könne dies bedeuten, ungeeignete Personen aus ihren Positionen zu entlassen, wenn sie den erforderlichen Standards in Bezug auf „saubere Diagnostik“ und angemessene Hilfestellung nicht gerecht werden:
„Es ist die Pflicht der Ärzte und Psychologen, kompetent zu sein und das Bestmögliche anzubieten!“


Er betonte zudem, dass das Ziel eine gelungene Ambulantisierung sein müsse: „Wir müssen weg vom rein stationären Versorgungsgedanken!“

Abschluss – Stimmen, Emotionen und ein Blick nach vorn:  ReAL ist 30 – und kein bisschen müde!
Zum Ausklang richtete sich Eva-Marie Torhorst mit bewegenden Worten an Wegbegleiter:innen, Partner:innen, Kolleg:innen – und an all jene, die ReAL durch ihr Vertrauen geprägt haben.
Caro Matzko führte mit einer Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit durch den gemeinsamen Abschied.
Das ReAL-Team blickt zurück auf Tage voll inspirierender Impulse, bewegender Begegnungen und gemeinsamer Perspektive. So bleibt ein starkes Gefühl von Aufbruch – und Verbundenheit. Eine würdige Bilanz nach drei Jahrzehnten verlässlicher, menschlicher und innovativer psychiatrischer Arbeit. Zwischen Theorie, Praxis und Menschlichkeit hat sich ReAL in 30 Jahren ein Fundament gebaut, das nicht aufhört zu wachsen. ReAL ist: Mutmacher, Möglichmacher – und Beispiel dafür, wie Teilhabe im Alltag gelingen kann: mit Haltung, Struktur und Beziehung.

S.Schinnagl